Hinweis vom 18.01.2023: die AGLA hat die Probleme um den PROCAM Rechner, die wir hier aufgearbeitet haben, in der Zwischenzeit behoben. Die AGLA empfiehlt für die Schweiz den SCORE2 Rechner.
Forderung
Die AGLA wird aufgefordert, die Kehrtwende bei der Diskriminierung von Personen ab 75 Jahren im Swiss Medical Forum zu publizieren und den früheren Artikel dazu zurückzuziehen.
Aufgabe der AGLA und ihr Statement
Die AGLA (Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose) ist seit über 20 Jahren für die Einschätzung des Infarktrisikos in der Schweiz zuständig. Sie handelt im Auftrag der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie
Im Juni 2021 hat die AGLA ein Statement zu „smarter medicine“ publiziert und dazu noch eine ausführliche Fassung erstellt. Darin widerspricht die AGLA den Smarter Medicine Empfehlungen der SGAIM.
Worum geht es?
Für die Infarkt-Prävention (Herzschlag, Hirnschlag) bedarf es eines adäquaten Instruments zur Berechnung des Risikos in der Schweiz. Risikofaktoren können massiv ausgeprägt sein, in diesem Fall ist das Risiko hoch oder sehr hoch und der Risikofaktor muss behandelt werden (Beispiel: familiäre Hypercholesterinämie). In allen anderen Fällen wird ein Risikorechner verwendet. Die AGLA empfiehlt den PROCAM basierten Risikorechner für Herzinfarkt und teilt die Risiken in drei Kategorien auf: niedrig, mässig erhöht, hoch. Leider hat die AGLA das Risiko falsch gelabelt, wodurch das Risiko niedrig erscheint, wo es eigentlich nicht niedrig ist. Da dies ein Sicherheitsproblem bei der Patientenversorgung zur Folge hat, ist dieses Vorgehen strafbar. Trotz wiederholter Interventionen hat die AGLA diesen Fehler nicht korrigiert (Stand 24.06.2021). Warum? Neben dem massiven Vertrauensverlust in die Risikoberechnungen bei Ärztinnen und Ärzten drohen auch rechtliche Klagen seitens der Patientinnen und Patienten.
Für die Behandlung des Risikos gibt die AGLA ebenfalls Empfehlungen heraus. Je nach Risikohöhe werden Zielwerte für Blutdruck oder LDL Cholesterin definiert. Die AGLA folgt dabei in der Regel den Vorgaben der Europäischen Herzgesellschaft (ESC), z.B. Lipidrichtlinien 2019. Entgegen diesen Richtlinien hat aber die AGLA in einer Übersichtsarbeit die Behandlung von Personen ab 75 Jahren mit Statinen einzustellen. Die AGLA schrieb: „Eine Primärprävention mit Statinen wird bei Patienten nur bis zum Alter von 75 Jahren empfohlen.“ Dies steht im Widerspruch zum AGLA Statement zu „smarter medicine“, wo vom fehlenden Nutzen der Statine ab 75 Jahren keine Rede mehr ist, im Gegenteil. Die Varifo war die einzige Institution, die auf den Fehler der AGLA in einem Leserbrief aufmerksam gemacht hat: Schwachstellen der AGLA: darin verdreht die AGLA die ESC Empfehlungen in ihr Gegenteil, und dies unter dem Label der ESC, ein schwerwiegender kommunikativer Unfall. Die AGLA hat dann auf diesen Leserbrief geantwortet, ohne die erwähnte umstrittene Empfehlung zurückzunehmen. Im Ergebnis argumentiert die AGLA in dieser Replik deckungsgleich mit der Empfehlung der SGAIM, keine Statine ab 75 zu verordnen. Die SGAIM empfiehlt jedoch darüber hinaus, Statine nach Herzinfarkt abzusetzen. das tut die AGLA nicht.
Einordnung
Die Schwachstellen der AGLA betreffen einerseits das Labeling des PROCAM-basierten Risikorechners und andererseits eine Rationierung von Statinen ab 75. Die Varifo hat immer wieder auf diese Schwachstellen aufmerksam gemacht:
Aus der Sicht der Varifo versucht die AGLA, sich dem Rationierungstrend, hier betreffend die Statine, zu beugen und verlässt damit die medizinischen Grundlagen für die Erarbeitung von Richtlinien. Weitere Details dazu im Insights-Dokument. Immerhin versucht die AGLA, hier mit Email Versand Gegensteuer zu geben.
Konsequenzen und Empfehlungen der Varifo
Der PROCAM basierte AGLA Rechner berechnet nur das Risiko für Herzinfarkt und ist damit nicht mehr zeitgemäss. Die Varifo empfiehlt den SCORE2 Rechner der Europäischen Herzgesellschaft ESC. Dieser schliesst das Risiko für Herzinfarkt- und Hirnschlag ein und ist für die Schweiz kalibriert. Die Varifo publiziert hier einen Excel basierten SCORE2 Rechner für Patientinnen und Patienten in der Grundversorgung und nach kardiovaskulärem Ereignis.
Durch die kommunikativen Fehler betreffend dem PROCAM basierten Risikorechner durch die AGLA (AGLA-Rechner) ist es nicht mehr zu verantworten, den AGLA Rechner in der Praxis zu empfehlen. Auch der Rechner der Schweizerischen Herzstiftung basiert auf PROCAM und wurde ebenfalls falsch gelabelt. Der dadurch entstandene Schaden für die Volksgesundheit durch verzögerte präventive Massnahmen dürfte immens sein.
AGLA und Schweizerische Herzstiftung sollen ein umfassendes Statement publizieren, warum der PROCAM basierte Rechner in der Schweiz nicht mehr verwendet werden soll. Ferner müssen bei allen Patientinnen und Patienten frühere Risikoberechnungen neu durchgeführt werden. Aufgrund der Datenbankanalysen der Varifo zeigt ein Vergleich von SCORE2 mit PROCAM, dass statt 85% nur 42% der Personen ein niedriges Risiko aufweisen. Dies weist auf das ungeheure Ausmass der Fehlbeurteilung durch den Herzinfarkt-PROCAM Rechner hin.
Die Varifo hat zudem die SGAIM angeschrieben, dass die smarter medicine Empfehlungen zu den Statinen bis Ende Juni 2021 rückgängig gemacht werden müssen. Ferner empfiehlt die Varifo, dass sämtliche Organisationen, welche die SGAIM Statin Empfehlungen unterstützen, sich zu ihrem eigenen Schutz von diesen Statin Empfehlungen aktiv distanzieren:
Potentiell haftbar können folgende Unterstützer von smartermedicine.ch gemacht werden:
SGAIM, SAMW, Schweizerische Stiftung SPO, Schweizerischer Verband der Berufsorganisationen im Gesundheitswesen, physioswiss – Schweizer Physiotherapie Verband, Stiftung für Konsumentenschutz, Fédération Romande des Consommateurs, Associazione Consumatrici e Consumatori della Svizzera Italiana, Kantonsspital Nidwalden, Kantonsspital Luzern, CHUV, Hôpital de La Tour, Clinica Luganese Moncucco, Hôpitaux univérsitaires Genève, Stadtspital Weid und Triemli, Ente Ospedaliero Cantonale, Spital Limmattal, Medix Schweiz, Schweizerische Verein für Pflegewissenschaft, Schweizerische Gesellschaft für Nephrologie, schweizerische Gesellschaft für Anästhesiologie und Reanimation, Schweizerische Neurologische Gesellschaft, Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin, Schweizerische Gesellschaft für Rheumatologie, Schweizerische Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie, Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie, FMH, Aerztegesellschaft des Kantons Zürich, Swiss Medical Board.
Die Positionierung vom ehemaligen AGLA Präsidenten AvEckardstein in den Notizen dieses PDF Dokumentes: